Neo Rauchs Gemälde „Der Anbräuner“ wird erneut versteigert

Bauunternehmer Christoph Gröner hat ein viel diskutiertes Kunstwerk als Pfand in einem Rechtsstreit eingesetzt. Nun wird das Gemälde „Der Anbräuner“ von Maler Neo Rauch im Internet versteigert.

Leipzig. Zu erzählen ist eine Geschichte mit mehreren Pointen, die auch nicht vor Exkrementen Halt macht. Ihr wichtigster Gegenstand ist ein bekanntes Gemälde des Leipziger Maler-Stars Neo Rauch. Das Bild heißt „Der Anbräuner“. Es wird seit wenigen Stunden im Internet versteigert. Das Mindestgebot beträgt 400 000 Euro.

Normalerweise geht es auf der Internetseite justiz-auktion.de um kleinere Summen. Dort finden sich jede Menge gebrauchte Fahrräder, Computer, Küchengeräte, Tankgutscheine. Alles das, was ein Gerichtsvollzieher bei einem klammen Schuldner leicht wegtragen kann. Warum das Rauch-Gemälde – ein Öl-Bild auf 1,50 mal 1,20 Meter großer Leinwand – zwischen solchen Artikeln auftaucht, hat eine besondere Bewandtnis. Freilich pflegen die Protagonisten verschiedene Sichtweisen dazu.

Höchstes Gebot bei GRK-Golf-Charity

Auf der einen Seite steht der bekannte Bauprojektentwickler Christoph Gröner (56). Vor fünf Jahren konnte er den „Anbräuner“ in einem glamourösen Rahmen ersteigern. Bei der GRK-Golf-Charity am 27. Juli 2019 im Leipziger Westin-Hotel bekam Gröner den Zuschlag bei 550 000 Euro – und er legte gleich noch eine Spende von 200 000 Euro oben drauf.

Schließlich gehe es um die Unterstützung wohltätiger Projekte wie das Kinderhospiz Bärenherz in Markkleeberg, sagte der hochgewachsene Unternehmer seinerzeit. Im Publikum saß allerlei Prominenz wie der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Es brauche einen „Verein für den gesunden Menschenverstand“, den er ins Leben rufen wolle, so Gröner. Der Verein werde über gesellschaftliche Fakten objektiv berichten. Das Bild von Neo Rauch solle in dessen Foyer zu sehen sein.

Über das Bild wurden damals lebhafte Debatten im deutschen Feuilleton geführt. Es wurde unter anderem als „abscheulich“, als „bewusst schlecht gemalt“ und als „Monster von einem Bild“ bewertet. Und fand trotzdem viel Bewunderung. Laut Wikipedia war das Gemälde die Antwort Rauchs auf einen Beitrag des Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Der aus München stammende und in Leipzig lebende Kritiker habe den Maler in seinem Text einer Gruppe rechtsgesinnter Künstler zugeordnet. Sie würden behaupten, Deutschland achte die Freiheit der Meinungen und der Kunst nicht mehr und sei zu einer „DDR 2.0“ geworden.

Titel von Schriftsteller Ernst Jünger

Auf dem Gemälde ist demnach ein Mann zu sehen, der einen Pinsel in seinen menschlichen Stuhlgang taucht und so eine Leinwand bemalt, auf der die Initialen W.U. in dunkelbrauner Farbe erscheinen. W.U. wurde als Hinweis auf Wolfgang Ullrich gedeutet. Rauch indes gab an, die Initialen stünden für den früheren DDR-Staatschef Walter Ulbricht – ebenfalls ein Leipziger. Darüber hinaus lehnte der mittlerweile 64-jährige Maler, dessen Bilder Themen stets vielschichtig angehen, bald weitere Kommentare ab. Das Wort „Anbräuner“ hatte er sich bei Schriftsteller Ernst Jünger entliehen. „Ich fand es damals völlig richtig und wichtig, wie Rauch auf absurde Vorwürfe reagiert hatte. Dass er sich auf seine Weise zur Wehr setzte“, sagt Gröner.

Den „Verein für den gesunden Menschenverstand“ gibt es nach fünf Jahren noch immer nicht. Bauunternehmer Gröner erklärt gegenüber der LVZ, das Bild habe sich zuletzt in seinem Berliner Familienbüro befunden. Nun kann es auf der Justiz-Auktionsseite ersteigert werden. Wie kann das sein?

„Selbstverständlich hole ich mir das Bild bald wieder zurück“, sagt der Bauunternehmer Gröner. Das dürfte allerdings schwer werden, denn der Millionär hatte es selbst vor wenigen Wochen nach Leipzig bringen lassen, um es einem Gerichtsvollzieher zu übergeben. Grund dafür war ein Rechtsstreit mit der Handwerksfirma Derlin Haustechnik aus dem norddeutschen Travenbrück. Lars Derlin (58) und seine 22 Beschäftigten hatten auf einer Baustelle in Hamburg (290 Wohnungen an der Bahrenfelder Chaussee) Sanitäranlagen und Heizungen installiert. Der Auftrag stammte von der CG Construction GmbH, die in der Leipziger Haferkornstraße ansässig ist. Dort befindet sich eine große Niederlassung von Gröners Unternehmensverbund.

Sicherungstopf nicht aufgefüllt

Unstrittig ist, dass CG Construction in mehreren Schritten einen siebenstelligen Betrag an Derlin bezahlt hatte. Nach ihrer Schlussrechnung forderte die Handwerksfirma noch weitere 700 000 Euro, erklärt ihr Anwalt Moritz Lembcke von der Kanzlei Osgard. Hingegen betont Gröner, die CG Construction habe in der Schlussrechnung erhebliche Fehler entdeckt und deshalb 486 000 Euro vom schon gezahlten Geld zurückgefordert.

Für einen weit geringeren Betrag räumte Derlin tatsächlich unbeabsichtigte Fehler ein. Vergleichsverhandlungen sind aber vorerst gescheitert. Ein Prozess dazu läuft in Hamburg. Laut Anwalt Lembcke konnte die Handwerksfirma parallel dazu in einem Urkundenverfahren erfolgreich eine Vollstreckungsmaßnahme über offene Sicherheitsleistungen einleiten. Demnach hatte sich die CG Construction schon 2022 verpflichtet, 600 000 Euro auf ein Notaranderkonto einzuzahlen und den Betrag immer wieder aufzufüllen – damit sich der Handwerksbetrieb aus dem Topf fortlaufend für erbrachte Leistungen bedienen kann. Doch der Topf sei nicht wie vereinbart gefüllt worden.

Gröner entgegnet, die Handwerksfirma habe doch mehr als genug direkte Zahlungen erhalten. Obwohl CG Construction gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil vorgegangen sei, habe die Gegenseite einen vollstreckbaren Titel über die 600 000 Euro Sicherheitsleistungen erwirkt, zeitweilig sogar einen Haftbefehl gegen einen Geschäftsführer der CG Construction. „Der Haftbefehl wurde nach einem Widerspruch ausgesetzt. Um die Situation möglichst schnell klären zu können, hatte mich die Geschäftsleitung gebeten, ein Pfand mit entsprechendem Wert zu stellen. Ich habe mich entschieden, das Gemälde von Neo Rauch bereitzustellen, da es gerade keine Verwendung bei uns hatte.“

Grundstücke an Côte d’Azur verkauft

Beide juristische Verfahren laufen noch weiter, sagt Gröner. „Wir sind uns sehr sicher, diesem Unternehmen kein Geld zu schulden. Im Gegenteil.“ Anwalt Lembcke widerspricht: „Der Konflikt ließe sich relativ einfach aus der Welt schaffen, wenn die CG Construction die offenen Forderungen bedienen würde. Offenbar ist die finanzielle Situation allerdings so desolat, dass dieses nicht möglich ist.“ Die Klempnerfirma Derlin wolle kein Gemälde erwerben, sondern für ihre Arbeit bezahlt werden. Auch andere Handwerksfirmen aus Norddeutschland hätten noch offene Forderungen gegen Unternehmen aus Gröners Einflussbereich.

Nach Gröners Angaben zählt seine Gruppe mehr als 500 Beschäftigte. Wegen der Branchenkrise in den letzten zwei Jahren seien mitunter Pausen auf Baustellen eingetreten, hätten neue Finanzierungsmodelle aufgelegt und viele Vorhaben umgeplant werden müssen. Er habe bereits mehr als 80 Millionen Euro aus seinem Privatvermögen genommen, um finanzielle Löcher zu stopfen – dafür auch Grundstücke in Südfrankreich und Oldtimer aus seiner Porsche-Sammlung verkauft. „Auch die Gröner Group kämpft noch mit der Krise, die viele Firmen in die Insolvenz getrieben hat“, sagt ihr Namensgeber. „Doch wir kommen da vergleichsweise solide durch.“ Er werde genug Mittel in die Gruppe geben, um alle Probleme zu meistern.

Die CG Construction koordiniert Handwerkerarbeiten für den Unternehmensverbund. Ihren Sitz in Eutritzsch besuchte am 23. Mai 2024 ein Obergerichtsvollzieher und pfändete das Gemälde. Ob und wie sich die Versteigerung noch stoppen ließe, dazu sind unterschiedliche Meinungen zu hören. Laut einem Gutachten der Berliner Kunstsachverständigen Petra Breidenstein ist „Der Anbräuner“ derzeit bis zu 800 000 Euro wert. Auszüge aus ihrem Gutachten wurden der nun laufenden Auktion mit der Nummer 185222 beigefügt. Gebote sind bis zum 13. August 2024 um 20 Uhr möglich, also zufällig jenem Tag, an dem sich Walter Ulbrichts Mauerbau von 1961 jährt.